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Georg Christoph Lichtenberg: I. Allerlei Gedanken: Die Natur. In: Ausgewählte Schriften, S. 3–11

Vermutlich sind die Zeiten nicht mehr fern, da Physik und Chemie, denen die lateinische Küche, ich meine die Apotheke, so vieles, wo nicht gar alles, zu danken hat, ihre Herrschaft auch über die populäre Hausapotheke, ich meine die Küche, erstrecken wird. Da sie so viel geleistet haben, die Apotheke, die sonst wie eine Art von Fegfeuer dicht zwischen Küche und Kirchhof lag, so weit als möglich von dem letzteren abzurücken, so wäre es unstreitig ihr größter Triumph, sie auch so weit als möglich von ersterer zu entfernen, die noch immer Hand in Hand gehen und sich einander in die Hände arbeiten.

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Ich bin überzeugt, daß die Hälfte des menschlichen Geschlechts, wenigstens des zahmen Teils desselben, den man den gesitteten nennt, über die Hälfte zu viel ißt; denn was man, zumal unter den höheren Klassen, Hunger nennt, ist meistens mehr ein Appetit nach Hunger, als der eigentliche Bedürfnishunger selbst.

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Seit einigen Tagen (22. April 1791) lebe ich unter der Hypothese (denn ich lebe beständig unter einer), daß das Trinken bei Tische schädlich sei, und befinde mich vortrefflich dabei. Hieran ist gewiß etwas Wahres, denn ich habe noch von keiner Aenderung in meiner Lebensart und von keiner Arznei so schnell und handgreiflich die gute Wirkung empfunden, als hiervon.

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Unter allen Kanälen, die die Natur für die Subsistenz unsres Wesens angelegt hat, ist wohl der Darmkanal, so wie er der längste ist, der wichtigste. Der Großhandel wird allein durch ihn geführt, das wissen die Hypochondristen; alles übrige ist Stapelei. Dieser Kanal ist unzähliger Richtungen fähig. Ob es Geschöpfe gibt, bei denen der Darmkanal durch den Kopf geht, ist bloß wahrscheinlich, aber daß es welche gibt, bei denen der Darmkanal durch das Herz geht, weiß ich von einer Art Muscheln wenigstens gewiß.

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Man führt gegen den Wein nur die bösen Thaten an, zu denen er verleitet; allein er verleitet auch zu hundert guten, die nicht so bekannt werden. Der Wein reizt zur Wirksamkeit, die Guten im Guten, und die Bösen im Bösen.

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Empfohlene Zitierweise:
Georg Christoph Lichtenberg: I. Allerlei Gedanken: Die Natur. In: Ausgewählte Schriften, S. 3–11. Cotta, Stuttgart 1893, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lichtenberg_Die_Natur.pdf/7&oldid=- (Version vom 29.8.2023)