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geselle den Winter bedroht habe. Die Behörden erfuhren das, und nun ergoß sich eine Reihe von Vernehmungen über den Speisiger. Er wurde vernommen: 1. auf der Polizei zu Jastrow, 2. nochmals auf der Polizei daselbst, 3. von dem Landrichter Zimmermann eidlich in Konitz, 4. eidlich vor dem Amtsrichter in Jastrow, und 5. am 6. Juli 1900 zum dritten Male eidlich in Konitz von dem Landrichter Zimmermann. Diese letzte Vernehmung dauerte von morgens 10 bis abends 10 Uhr mit einer zweistündigen Mittagspause, während welcher Speisiger im Gericht eingesperrt wurde. Im Laufe dieses ganzen Tages erhielt er keinerlei Nahrung und wurde schließlich um 10 Uhr nachts wegen Meineides von Herrn Zimmermann verhaftet.

Diese Verhaftung hatte folgendes Vorspiel: Herr Landrichter Zimmermann vernahm alle Mitglieder der Familie Lewy, nämlich die Adolf Lewyschen Eheleute nebst deren Söhnen Moritz und Hugo als Zeugen eidlich über den Mord an dem Gymnasiasten Winter. Alle diese Lewys haben ausgesagt, daß sie den ermordeten Winter gar nicht gekannt hätten und von seiner Ermordung nicht das Geringste wüßten. Der Präparand Speisiger bekundete dagegen, daß er den Moritz Lewy mit dem ermordeten Winter öfter habe verkehren und sprechen gesehen. Da nun aber Moritz Lewy das Gegenteil beschworen hatte, so erklärte Herr Landrichter Zimmermann, Speisiger müsse falsch geschworen haben, und verhaftete ihn.

Am Tage nach der Verhaftung, am 7. Juli, mußte Speisiger ein weiteres, über drei Stunden langes Verhör vor Herrn Zimmermann bestehen; in dem darüber aufgenommenen Protokoll heißt es, daß Speisiger seine frühere Bekundung über den Verkehr des Winter mit Moritz Lewy nicht mehr aufrecht erhalten könne.

Aus diesen fünf Vernehmungen stellte die Staatsanwaltschaft dann eine Menge Widersprüche zusammen und erhob gegen Speisiger Anklage wegen Meineides.

Am 6. Oktober 1900 kam diese Sache vor der Strafkammer des Landgerichts zu Konitz zur Aburteilung. Sie endete nach zweitägiger Verhandlung mit einer vollständigen Freisprechung. Außerdem wurde der als Zeuge vernommene Moritz Lewy im Laufe der öffentlichen Sitzung wegen wissentlichen Meineides verhaftet. Es bekundeten nämlich zwölf auf Antrag der Verteidigung geladene Zeugen, daß sie ebenfalls den Moritz Lewy mit dem Winter hätten verkehren und sprechen sehen. Hierdurch ward klar bewiesen, daß nicht der vom Landrichter Zimmermann verhaftete Speisiger, sondern der von diesem Beamten für glaubwürdig hingestellte Moritz Lewy unrichtig geschworen hatte.

Der junge Speisiger aber hatte drei Monate in Untersuchungshaft unschuldig zugebracht, für die ihn niemand entschädigt.

Im Anschlusse an den Prozeß Speisiger sei noch eine kleine bezeichnende Geschichte von Herrn Wehn vorgetragen: Am Abend des ersten Verhandlungstages wurde dem genannten Kriminal-Kommissar in einem Lokale, wo gebildetes Publikum verkehrt, mitgeteilt, daß am nächsten Tage noch weitere acht Zeugen den Verkehr zwischen Winter und Moritz Lewy bekunden würden. Darauf verstieg sich Herr Wehn zu den Worten: „Dann werden morgen

Empfohlene Zitierweise:
Max Liebermann von Sonnenberg: Der Blutmord in Konitz. Berlin: Deutschnationale Buchhandlung und Verlags-Anstalt, 1901, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebermann-_Blutmord_Konitz-_p056.png&oldid=- (Version vom 23.6.2018)