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Seite:Literarisches Conversations-Blatt 1824 Kunstausstellung Dresden 2.djvu/1

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Ueber die diesjährige Kunstausstellung in Dresden.[1]

Sie fodern mich auf, Ihnen recht offen meine Meinung über die hiesige Kunstausstellung zu sagen, dies ist aber ein schwieriges, undankbares Geschäft. Jede Meinung ist einseitig, den Zauber des Schönen können die todten starren Buchstaben nicht niedergeben, wol können sie aber zu verwundenden Dornen werden; dies möchte ich nicht; es ist mir eben so verhaßt zu kränken als zu schmeicheln! Nur aus verschiedenartigen Ansichten kann man die echte Wahrheit erkennen; ich begleitete deshalb mehre Gesellschaften von Bekannten in jene Säle; ich lauschte auf die Aeußerungen eines Jeden; diese Gespräche will ich treu berichten, möge in ihnen sich das Gesehene klar spiegeln! Die Familie, in deren Gesellschaft wir heute zuerst das Professorzimmer besuchen wollen, besteht aus sehr verschiedenartigen Menschen: der Vater ist ein tüchtiger praktischer Geschäftsmann; die Mutter ist warmfühlend, anspruchslos und natürlich; der älteste Sohn Fedor ist viel und mit Nutzen gereist; der jüngere, Edwin, will sich selbst der Kunst widmen; Rosa, die Schwester dieser Jünglinge, sieht Alles mit jugendlich poetischer Schwärmerei an; eine Tante, die sie begleitete, paßt wenig in den Kreis dieser Menschen, denn sie ist ganz Weltfrau; indeß sie war nun einmal dabei. Wir wendeten uns auf Fedors Rath zurück in’s Professorzimmer, weil er meint, um die Werke der Meister zu beurtheilen, müsse das Auge noch frisch und nicht ermüdet sein. „Nun, so wollen wir denn gerade mit dem leeren Zimmer anfangen,“ rief der Vater, „obschon die andern bunter, voller und lustiger aussehen.“

Fedor. Welch’ ein treffliches Bild ist dieser Herkules, der den nemäischen Löwen tödtet! Dies erinnert an die gymnastischen und athletischen Kämpfe, bei denen die bildende Kunst so viel zu studiren fand.

Edwin. Es ist eigentlich doch nur ein Act nach der Natur; der Professor Hartmann benutzte den sogenannten französischen Herkules dazu, der vorigen Winter hier Darstellungen seiner ungeheuern Kraft gab, sonst müßte es wol noch wilder und gefahrvoller bei diesem Kampfe zugehen; dieser Löwe läßt ziemlich geduldig Alles mit sich machen.

Fedor. Darauf kommt es hier nicht an; Darstellungen aus echt antiker Heroenzeit müssen stets eine großartige Ruhe haben; die vollste Entwicklung des Muskelspiels ist hier die Hauptsache, und wie schön ist diese gelungen, wie unübertrefflich sind besonders Hände und Füße gemalt! Der Künstler selbst nennt es bescheiden nur einen Act, nicht ein Ideal, aber nur ein großer Meister vermag es, jenen so auszuführen und die Stellung zugleich so gut zu wählen, daß sie am vortheilhaftesten für sein Original ist, bei dem die stark gebaute Brust und die muskelkräftigen Arme am auffallendsten waren. Wie schön ist dabei der Ton dieses Colorits gewählt, still, ernst und kräftig, wie es sich für ein solches Bild ganz geziemt.

Rosa. Bewundere wie Du willst, Bruder, ich gestehe, daß ich dieser ganzen Gattung von Kunstwerken wenig Geschmack abzugewinnen vermag; sie geben doch dem Herzen gar nichts. Wie rührend ist dagegen das kleine Bild desselben Meisters, die Mutter mit den harmlos schlummernden Kindern, welche der Tod unerwartet ergreift und mit sich fortreißt.

Die Mutter. O dies ist ein furchtbar herzzerreißendes Bild. Wie konnte der Künstler gerade dies Jahr, wo so manches Mutterherz gebrochen ist durch den Verlust seiner Lieblinge, so einen Gegenstand wählen? Wie schrecklich erscheint es, wie der zum Fenster hereinlangende Tod ein Kind schon über die Achsel geschleudert mit fortträgt und eben noch mit schauerliche Knochenhand das zweite berührt!

Rosa. Wie kann man überhaupt den Tod noch so als furchtbares Geripp darstellen, ein schöner Jüngling sollte er sein, mit gesenkter Fackel, der mit leisem Kuß hinüberführte.

Edwin. Das Colorit des Bildes ist auch so trüb, keine einzige frische Farbe erheitert das Ganze; die Palette war fast schmutzig bei dieser Arbeit zu nennen.

Fedor. Soll es denn eine griechische, von Licht und Schönheit strahlende Mythe sein? Die Worte des Propheten Jeremias: „Der Tod kam durch die Fenster in unsre Paläste, unsre Kinder zu würgen,“ wollte der


Empfohlene Zitierweise:
Unbekannt: Ueber die diesjährige Kunstausstellung in Dresden. Brockhaus, Leipzig 1824, Seite 977. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Literarisches_Conversations-Blatt_1824_Kunstausstellung_Dresden_2.djvu/1&oldid=- (Version vom 7.12.2024)