Seite:Loehr Buch der Maehrchen 2.pdf/16

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Tags nicht weiß, wer sie war, oder woher sie kam, und wohin sie zog. Denn es schickte sich nicht darnach zu fragen.

Sie sagte, ich möchte des Nelkenstocks gar fleißig warten und ihn begießen, den Ring aber aufs beste bewahren; sie sollten aber alle beide Dir, liebe Tochter, zugehören, und Dich einmal trösten, wenn Du recht arm und verlassen sein würdest. Dennoch sollte ich Dich „Glückskindchen“ nennen, welches ich auch gethan habe. – Da hier! Glückskind, nimm was dein ist, Ring und Nelkenstock; das Uebrige gehört dem Wanst.

Der Vater starb nach einigen Tagen; die Kinder nahmen, Jedes was ihm gehörte, und blieben beisammen.

Glückskindchen hatte den Bruder Wanst gar sehr lieb, und dachte er würde sie auch recht lieb haben, welches aber nicht geschahe, denn, als sie sich einmal auf einen von Wanstens zwei Schemeln setzen wollte, jagte er sie davon weg, setzte sich selbst ganz hochmüthig auf den Einen Schemel, und auf dem andern strakelte er tölpisch seine Strampel- und Pampelfüße aus, die gar dick und stämmig waren.

„Die Schemel sind mein“, sagte er übermüthig und vornehm; Du kannst Deinen Ring behalten und Deine Nelken!“

Das Glückskind weinte im Stillen seine bitterlichen Thränen, und wußte nun nicht einmal, wo es sich hinsetzen sollte. Ach! daß der Wanst so garstig sein könnte, das hätte sie ja nimmerdar geglaubt; um desto weher that es ihr denn.

Stehend hatte sie bis zum Abendeßen ein wenig genäht, aber Wanst hatte großthuig[1] und nichtsthuig auf seinen Schemeln geruht, und als Abendeßenszeit kam, holte er sich ein Paar Eier von denen, welche die Henne seit einigen Tagen gelegt hatte, kochte sie, und aß sie nebst einem großen Stück Brodt, wovon noch etwas Vorrath da war. Aber der Schwester gab er weder Brodt noch Ei.


  1. Verbeßerungen S. 471: st. großthuisch l. großthuig