Seite:Loehr Buch der Maehrchen 2.pdf/469

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der Dreifuß auf dem Heerde, ja selbst das Küchenfeuer und die Tauben in der Bratpfanne – kurz Alles schlief ein. Das war einmal ein Schlaf!

Aber um das Schloß fing sich schnell eine Dornenhecke an herumzuziehen und die Dornhecke wuchs höher und immer höher, bis endlich über das Schloß hinaus, weil Unkraut immer am schnellsten groß wird.

Viel Prinzen wußten, daß ein gar schönes und liebliches Röslein im Schloße war, und kamen und wollten es befreien, wollten die Dornhecken mit dem Schwerdte zerhauen oder sich durchdrängen, aber das half nichts. Blutig gefetzt kehrten sie wieder zurück und manche sollen sogar in den Dornhecken kläglich umgekommen sein. Seit der Zeit nun hieß die Prinzeß Röslein nur Dornröslein.

So stand das Schloß und das Dorngehäge wohl hundert Jahr und noch länger, und wußte Niemand mehr, was in dem Schloße vorgegangen war, als ein einziger alter Mann im Lande, dem es sein Großvater erzählt hat, und der in der Nähe des Schloßes wohnte. Dieser erzählte einem Königssohne, der einmal vorbeizog und ein wißbegieriger und heldenmüthiger junger Herr war, was sich begeben hatte, und wie es den Prinzen gegangen sei.

„Das muß ich doch selbst sehen, sagte der junge Held, und will mich daran versuchen.“

Er ging nach dem Schloße zu, aber eine Dornenhecke fand er nicht, sondern nur lauter Blumen, die in schönen Kreisen das Schloß umgaben, und vor welchen er sich gar nicht fürchtete. Hätten sie ihm einen Widerstand geleistet, so hätte er sie mit seinem Säbel durchgehauen und sich einen Weg gebahnt zu Dornröslein hin. Aber Blumen sind ja nicht blos schön, sondern auch sanft. Darum wichen sie aus, als er herankam, und ließen ihm offenen Weg.