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also von Rechtswegen nach dem einfachsten Koniferenkomment verpflichtet, sich nicht im Herbste gänzlich zu mausern, sondern die Nadeln zu behalten. Fällt ihr aber gar nicht ein, benimmt sich durchaus nicht standesgemäß, zeigt keine Spur von Solidaritätsgefühl, marquiert kalt lächelnd das Laubholz und entblödet sich nicht, im November Nacktvorstellungen zu veranstalten. Erkläre mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur? Nichts einfacher als das! Ausnahmen bestätigen die Regel, sagt das Sprüchwort. So ist diese Anomalie schon dadurch erklärt. Ferner kann man sagen: die Lärche weiß, wie hübsch sie auch ohne Nadeln ist. Wer schlägt im Ballsaale alles tot, die dicke Madam mit dem brillantenbesäten Woge- und Wallebusen unter dem langweiligen Doppelkinngesicht, oder die Frau, an der nichts brillant ist, außer der Figur und dem Antlitz? Verstanden? Na also!

Nun noch eine Frage: Warum behalten aber die übrigen Nadelhölzer die Nadeln? Ja, da sitzen sie fest, mein Lieber! Mit der Wissenschaft bekommen Sie das nie heraus, da müssen Sie schon gründlicher zu Werke gehen. Lassen Sie nur die Pflanzengeographie und die Physiologie und das ganze übrige botanische Besteck in der Tasche, auch den sogenannten gesunden Menschenverstand, und klappen Sie die Phantasie dafür auf! Sehen Sie, das hilft sofort! Nicht wahr, wenn alle Tannen, Kiefern, Fichten und Wacholder im Herbste sich bis auf die Haut auszögen, zum Umkommen wäre es dann in unseren Gegenden, nicht zum Aushalten wäre es. So aber, wenn über der verschneiten Flur im kahlen Wald grüne Wipfel in der Sonne leuchten, läßt sich die Landschaft schon ertragen, abgesehen davon, daß es doch auch Weihnachtsbäume geben muß. Die Einrichtung hat also nebenbei auch noch ihren praktischen Wert

Es ist übrigens immer verfehlt, zu fragen, warum ist dies oder das in der Natur so, denn ob Ihnen das paßt oder nicht, Wertgeschätzter, die Natur ist dazu da, daß wir uns

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Hermann Löns: Der zweckmäßige Meyer. Sponholtz, Hannover 1911, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loens_Der_zweckmaessige_Meyer.pdf/116&oldid=- (Version vom 1.8.2018)