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macht sich über das andere lustig, und unter dem vorwande, das gigerltum auszurotten, begeht man immer neue gigerleien. Das moderne gigerl oder das gigerl schlechtweg ist nur eine spezies aus einer weit verzweigten familie.

Dieses gigerl haben die deutschen im verdacht, daß es die herrenmode angibt. Das ist aber eine ehre, die diesem harmlosen geschöpf nicht zukommt. Aus dem gesagten geht schon hervor, daß sich das gigerl nicht einmal modern kleidet. Damit wäre ihm auch nicht gedient. Das gigerl trägt immer das, was seine umgebung für modern hält.

Ja, ist denn das nicht mit dem modernen identisch? Keineswegs. Daher sind auch die gigerln einer jeden stadt verschieden. Was in A imponiert, hat in B schon seinen reiz verloren. Wer in Berlin noch bewundert wird, läuft gefahr, in Wien ausgelacht zu werden. Die vornehmen kreise aber werden stets jenen änderungen der mode den vorzug geben, die den mittelklassen am wenigsten zum bewußtsein kommen. Durch kleiderordnungen sind sie nicht mehr geschützt, und es ist ihnen nicht angenehm, gleich am nächsten tag von jedermann kopiert zu werden. Da müßte man sich sofort nach ersatz umsehen. Um dieser ewigen jagd nach neuen stoffen und schnitten enthoben zu sein, wird nur zu den diskretesten mitteln gegriffen. Jahrelang wird die neue form wie ein offenes geheimnis der großen schneider sorgsam gehütet, bis sie endlich durch ein modejournal ausgeplaudert wird. Dann dauerts noch ein paar jahre, bis selbst der letzte mann im lande davon kenntnis erhält. Und nun kommen erst die gigerln an die reihe und bemächtigen sich der sache. Aber durch die lange wanderschaft hat sich die ursprüngliche

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Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/21&oldid=- (Version vom 1.8.2018)