gemacht wurde, an einem tage machen und neu erfinden können. Diese dinge waren jeweils ausdruck ihrer kultur und wurden von den meistern so gefertigt, wie der bauer sein haus baut. Der meister von heute konnte arbeiten wie der meister von eh und je. Aber ornamente konnte der zeitgenosse Goethes nicht mehr machen. Da wurden die verbogenen geholt und dem meister als vormünder vorgesetzt.
Der maurermeister, der baumeister erhielt einen vormund. Der baumeister konnte nur häuser bauen: im stile seiner zeit. Aber der, der in jedem vergangenen stile bauen konnte, der, der aus dem kontakt mit seiner zeit gekommen war, der entwurzelte und verbogene, er wurde der herrschende mann, er, der architekt.
Der handwerker konnte sich nicht viel um bücher kümmern. Der architekt bezog alles aus büchern. Eine ungeheure literatur versorgte ihn mit allem wissenswerten. Man ahnt nicht, wie vergiftend diese unzahl von geschickten verlegerpublikationen auf unsere stadtkultur gewirkt, wie sie jede selbstbesinnung verhindert hat. Ob der architekt sich die formen so eingeprägt hatte, daß er sie aus dem gedächtnisse nachzeichnen konnte, oder ob er das vorlagewerk während seines „künstlerischen schaffens“ vor sich liegen haben mußte, kam auf eins heraus. Der effekt war immer derselbe. Es war immer ein greuel. Und dieser greuel wuchs ins unendliche. Ein jeder war bestrebt, seine sache in neuen publikationen verewigt zu sehen, und eine große zahl architektonischer blätter kam dem eitelkeitsbedürfnis der architekten entgegen. Und so ist es geblieben bis zum heutigen tage.
Aber der architekt hat den bauhandwerker auch aus einem anderen grunde verdrängt. Er lernte zeichnen, und
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/308&oldid=- (Version vom 1.8.2018)