Hatte ich nicht einmal den satz geprägt: modern gekleidet ist der, der am wenigsten auffällt. Das klang paradox. Aber es fanden sich brave menschen, die diesen wie so viele andere meiner paradoxen einfälle sorgfältig aufhoben und von neuem drucken ließen. Das geschah so oft, daß die leute sie schließlich für wahr hielten.
Was jedoch die unauffälligkeit angeht, da hatte ich eines nicht ins kalkül gezogen. Nämlich: was von der kleidung galt, das galt nicht in der architektur. Ja, wäre die architektur von den verbogenen in ruhe gelassen worden, und die kleidung im sinne alten theaterplunders oder secessionistisch – versuche dazu hatte es wohl gegeben – reformiert worden, dann wäre es umgekehrt gewesen.
Denken sie sich die situation so: Ein jeder trägt eine kleidung, die einer vergangenen zeit angehört oder einer imaginären, fernen zukunft. Da sähe man männer aus dem grauen altertum, frauen in hochgetürmten frisuren und reifrock, zierliche herren in burgundischer hose. Und dazwischen ein paar neckische moderne mit violetten escarpins und apfelgrünen seidenen wämsern mit applikationen von professor Walter Scherbel. Und nun träte ein mann in schlichtem gehrock unter sie. Würde der nicht auffallen? Ja, viel mehr, würde er nicht ärgernis erregen? Und würde nicht die polizei gerufen werden. die dazu da ist, alles zu entfernen, was ärgernis erregt?
Die sache ist aber umgekehrt. Die kleidung ist richtig, die harlekinade auf dem gebiete der architektur. Mein haus (gemeint ist das „Looshaus“ auf dem Michaelerplatz in Wien, das im selben jahre erbaut wurde, in dem dieser artikel entstand) erregte richtig ärgernis und die polizei war prompt zur stelle. Solche dinge könne ich
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/315&oldid=- (Version vom 1.8.2018)