symphonien, die die menschheit in ihrer verblendung durch verfolgung des künstlers – nein, schon durch unterlassungssünden – verhindert hat, die werden ihr nicht vergeben. Die durchkreuzung der pläne gottes wird ihr nicht vergeben.
Die menschheit weiß nicht mehr, was kunst ist. „Die kunst im dienste des kaufmannes“ hieß neulich eine ausstellung in München, und keine hand fand sich, die das freche wort gezüchtigt hätte. Und niemand lacht bei dem schönen wort „angewandte kunst“.
Wer aber weiß, daß die kunst dazu da ist, um die menschen immer weiter und weiter, immer höher und höher zu führen, sie gottähnlicher zu machen, der empfindet die verquickung von materiellem zweck mit kunst als profanation des höchsten. Die menschen lassen den künstler nicht gewähren, weil sie keine scheu vor ihm haben, und das handwerk kann sich, mit den zentnergewichten idealer forderungen belastet, nicht frei entfalten. Der künstler hat bei den lebenden keine majorität hinter sich zu haben. Sein reich ist die zukunft.
Da es geschmackvolle und geschmacklose gebäude gibt, so nehmen die menschen an, daß die einen von künstlern herrühren, die anderen von nichtkünstlern. Aber geschmackvoll bauen ist noch kein verdienst, wie es kein verdienst ist, das messer nicht in den mund zu stecken oder sich des morgens die zähne zu putzen. Man verwechselt hier kunst und kultur. Wer kann mir aus vergangenen epochen, also aus kultivierten zeiten, eine geschmacklosigkeit nachweisen? Die häuser des kleinsten maurermeisters in der provinzstadt hatten geschmack. Freilich gab es große und kleine meister. Den großen meistern waren die großen arbeiten vorbehalten. Die
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/318&oldid=- (Version vom 1.8.2018)