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es umlernen. Die böhmischen knödel, die mährischen buchteln, die italienischen schnitzel – lauter dinge, die jahrhundertelang zum eisernen bestand der wiener küche gehörten, müssen durch heimische nahrungsmittel ersetzt werden.

Der mehlreichtum der alten monarchie hatte zur folge, daß die österreichische küche die mehlreichste der ganzen welt war. Wir waren stolz auf die vielen mehlspeisen. In jede speise wurde mehl getan. Kein gemüse kam auf den tisch, das nicht zur hälfte mit mehl versetzt wurde. Die hausfrau nannte das „strecken“, denn das gemüse war teuer und das mehl billig. Der österreichische spinat war daher ein grauer kleister, der durch spinatzusatz eine grünliche färbung annahm. Diese mehlverschwendung kostet aber heute das volk jährlich ungezählte milliarden – die summe, die der staat auf das mehl, das nun aus dem ausland eingeführt werden muß, daraufzuzahlen hat. Keine industrielle kraftanwendung wäre imstande, einen ausgleich für solchen import zu schaffen.

Die rettung? Jener doktor Daniel Gottlieb Schreber hat sie geahnt, der vor siebzig jahren spielenden kindern in den von mietskasernen flankierten straßen zusah und sich sagte:

Die kinderreichen familien mögen sich zusammentun, ein kleines stück land vor den toren der stadt pachten und die kinder unter freiem himmel, fern von dem getümmel und staub der großstadt, in luft und sonne spielen lassen. Das kleine grundstück möge von laubhütten eingefaßt werden, wo vater und mutter nach getaner arbeit ihren feierabend verleben können.

Und so geschahs. Was aber Daniel Gottlieb Schreber nicht ahnen konnte, erlebt man siebzig jahre nach dem

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Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/382&oldid=- (Version vom 1.8.2018)