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WOHNEN LERNEN!
(1921)

Die neue bewegung, die alle bewohner dieser stadt wie ein fieber befallen hat, die siedlungsbewegung, verlangt neue menschen. Menschen, die, wie Leberecht Migge, der große gärtner, so richtig sagt, moderne nerven besitzen.

Wir haben es leicht, menschen mit modernen nerven zu schildern. Wir brauchen unsere phantasie nicht anzustrengen. Sie leben schon fix und fertig, allerdings nicht in Österreich, sondern etwas weiter westlich. Die nerven, die die amerikaner heute besitzen, werden unsere nachkommen erst erhalten.

Im amerikaner ist der städter und der bauer nicht so scharf getrennt wie bei uns. Jeder bauer ist ein halber städter, jeder städter ein halber bauer. Der amerikanische stadtmensch hat sich von der natur nicht so weit entfernt wie sein europäischer kollege oder, besser gesagt, wie sein kontinentaler kollege. Denn auch der engländer ist ein rechter bauer.

Beide, engländer und amerikaner, empfinden das wohnen mit anderen leuten unter einem dache als unerquicklichen zustand. Jeder, arm oder reich, strebt nach seinem eigenen heim. Und wenn es nur ein cottage, eine verfallene hütte mit tief herabhängendem strohdach, wäre. In der stadt spielen sie theater und bauen zinshäuser, deren einzelwohnungen in zwei stockwerken angeordnet sind, die eine eigene holztreppe verbindet. Übereinander gestülpte cottages.

Und da komme ich zum ersten programmpunkte meiner ausführungen. Der mensch im eigenheim wohnt in zwei stockwerken. Er trennt sein leben scharf in zwei

Empfohlene Zitierweise:
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/385&oldid=- (Version vom 1.8.2018)