Seite:Lucians Werke 0022.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

hätten. Bald wurde die eine Meister, und hatte mich fast ganz; bald hielt mich wieder die andere umfaßt. Beide schrieen gewaltig: „Er gehört mir,“ rief die eine, „ich will „ihn haben!“ – „Mit nichten,“ schrie die andere, „du wirst „mir mein Eigenthum nicht nehmen.“ Die eine hatte ein derbes, mannhaftes Ansehen, schmutziges Haar, Hände voller Schwielen, ein aufgeschürztes Gewand, und war mit Marmorstaub bedeckt, gerade wie der Oheim, wenn er Steine polirte. Die andere aber hatte eine edle Gesichtsbildung, einen schönen Anstand, und ein reines, gefälliges Gewand. Endlich überließen sie es mir selbst, zu entscheiden, bei welcher von beiden ich bleiben wollte; und jene rauhe und mannhafte sprach zuerst:

7. „Ich bin die „Bildhauerkunst“, mein lieber Sohn, der du dich gestern zu widmen angefangen, und mit welcher du schon von Haus aus befreundet bist. Denn dein Großvater (sie nannte den Vater meiner Mutter) war ein Steinmetz, und deine beiden Oheime danken mir einen großen Ruf. Willst du dich nun an das alberne Geschwätz dieser Närrin da nicht kehren und dich zu mir halten, so verspreche ich dir reichliche Nahrung und starke Glieder: aller Neid wird dir ferne bleiben, nie wirst du in die Fremde zu wandern, und Vaterland und Freunde zu verlassen nöthig haben; und das allgemeine Lob, in welchem du stehen wirst, wird sich nicht auf bloße Reden gründen.“

8. „Stoße dich nicht an meinem unscheinbaren Aeußern und an meiner schmutzigen Kleidung. Jener große Phidias, der den Jupiter so wahr und lebendig darstellte, Polycletus, der die Juno bildete, der gepriesene Myron, der bewunderte

Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. Stuttgart: J. B. Metzler, 1827–1832, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0022.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)