Seite:Lucians Werke 0057.jpg

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schloß, erging es mir, wie den Phäaken[1]: ich sah ihn eine Weile in einer Art von Entzückung schweigend an: darauf befiel mich Verwirrung und Schwindel: der Schweiß brach mir aus: ich wollte reden, aber ich stockte und brachte kein Wort heraus, denn die Stimme verließ mich, und die Zunge versagte ihre Dienste: kurz ich wußte gar nicht, wie mir ward, und vergoß endlich helle Thränen. Denn nicht nur so zufällig und an der Oberfläche hatte mich diese Rede berührt: die Wunde war tief und entscheidend: denn er hatte mit seinen Worten recht scharf mir auf das Gemüth gezielt, und es, wenn ich so sagen darf, in der Mitte getroffen. Denn wenn es mir jetzt schon erlaubt ist, mich mit meinem Urtheil an die Reden der Philosophen zu wagen, so ist meine Meinung von denselben diese.

36. Das Gemüth eines gut gearteten Menschen gleicht einer weichen Masse. Auf diese zielen der Schützen viele im Leben: die Pfeile, von denen ihre Köcher strotzen, sind Reden von gar mancherlei Art, aber nicht alle treffen gleich gut nach dem Ziele. Einige spannen die Sehne zu straff, und so wird der Pfeil zu heftig abgeschnellt: zwar verfehlt er die Richtung nicht, allein er haftet nicht im Ziele, sondern von der Gewalt des Schusses hindurchgetrieben, läßt er in dem Gemüthe eine klaffende Wunde. Andere hinwieder thun das Gegentheil. Aus Mangel an Spannung und Schnellkraft der Sehne gelangen ihre Geschosse gar nicht an das Ziel,


  1. Jener sprach’s: doch alle verstummten umher, und schwiegen,
    Horchend noch mit Entzückung im schattigen Saal des Palastes.

     Odyss. XI, 333 f. Voß.
Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0057.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)