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unserer Unerfahrenheit, häufig aber auch von der Unmündigkeit unseres Verstandes her. Denn in der That ist jeder Mensch, auch der hochbetagte Greis, ein Kind, und unsere Lebenszeit nur der ganze Zeitraum der ersten Kindheit im Vergleich mit der ewigen Dauer des Weltalls. Wie sollten also wir, mein Lieber, bei unserer Unkunde göttlicher Kräfte, über die Möglichkeit und Unmöglichkeit jener Erscheinungen entscheiden können? Du hast gesehen, welchen Orkan wir vorgestern hatten; noch heute erfüllt der Gedanke an jene Blitze und Donnerschläge und jenes fürchterliche Sturmestoben mit Grausen; war es doch nicht, als ob gar die ganze Welt in Trümmern gehen sollte!

4. Und nun – welche schnelle Verwandlung! Der Himmel ward wunderschön und blieb es bis auf diesen Augenblick. Was hältst du nun für größer und schwieriger, aus jenem Aufruhr und jenem alles überwältigenden Wirbelwinde diesen heitern Himmel hervorgehen, und stille Ruhe in die ganze Natur zurückkehren zu lassen, oder – ein Weib in einen Vogel umzugestalten? Wissen doch auch unsere Knaben, wenn sie nur ein wenig des Formirens kundig sind, ein Stückchen Thon oder Wachs in hundert verschiedene Figuren umzubilden. Also wird es der Gottheit, die so große, und mit den unsrigen gar nicht vergleichbare Kräfte hat, doch wohl ein leichtes seyn, diese und ähnliche Wirkungen hervorzubringen? Siehe den ganzen Himmel – um wie viel glaubst du wohl, daß er größer sey, als du selbst?

5. Chärephon. Wie, Sokrates? Welcher Sterbliche sollte so etwas nur mit dem Gedanken erfassen, oder gar mit Worten auszusprechen vermögen?

Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0099.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)