Seite:Lucians Werke 0300.jpg

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ohne sie die zugetheilten Rollen zu Ende spielen zu lassen: da muß denn ein Crösus den Königsmantel ausziehen und die Tracht eines Sclaven und Kriegsgefangenen anlegen; ein Mäandrius, der bisher unter den Sclaven aufzog, bekömmt die Tyrannenrolle des Polycrates. Eine Zeitlang dürfen sie so den angewiesenen Charakter behalten. Hat aber der Aufzug sein Ende erreicht, so muß Jeder seine Maske und ganze Tracht sammt dem Körper zurückgeben, und ist nun wieder, wie zuvor, nicht mehr und nicht weniger als jeder seiner Nachbarn. Gleichwohl giebt es Narren unter ihnen, die, wenn die Göttin auf Zurückgabe des geliehenen Putzes dringt, sich beklagen und einen Lärm anfangen, als ob man ihnen ihr Eigenthum entrisse, während sie doch nur zurückgeben sollen, was ihnen auf eine kurze Zeit zum Gebrauch geliehen war. Gewiß hast du schon dasselbe auf der Schaubühne bemerkt, daß ein und derselbe tragische Schauspieler, nach Bedürfniß des darzustellenden Stücks, bald einen Creon, bald einen Priamus, bald einen Agamemnon aus sich machen muß, und wenn er eben einen Cecrops oder Erechtheus in majestätischer Haltung dargestellt hat, vom Dichter gleich darauf wieder als Sclave herausgeschickt wird. Ist das Schauspiel aus, so legt der Held den goldgestickten Mantel und die vornehme Maske ab, steigt vom Cothurn herab, und der Atride Agamemnon oder Creon, des Menöceus Sohn, wandelt nun wieder unter den Leuten als der arme, unbedeutende Polus, Charikles Sohn, aus Sunium, oder Satyrus, Theogiton’s Sohn, aus Marathon, herum. Eben so, dachte ich damals, verhält es sich auch mit dem menschlichen Leben.

Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0300.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)