Seite:Lucians Werke 0577.jpg

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Lycinus. Ich sagte nur: es ist nicht ausgemacht. Oder hältst du es denn für unmöglich, daß sie sich Alle täuschten, und daß noch Keiner von ihnen das Wahre ausfindig gemacht hätte, das ja etwas ganz Anderes seyn könnte, als wofür es von ihnen gehalten wird?

65. Hermotimus. Wie wäre das möglich?

Lycinus. Ich will es dir auf diese Art versinnlichen: das gesuchte Wahre soll eine Zahl seyn, etwa die Zahl zwanzig; es nehme also Jemand zwanzig Bohnen in die Hand, verschließe sie, und frage zehn Andre nach einander, wie viele Bohnen er in der Hand habe: da werden sie denn verschiedentlich rathen, Einer sieben, ein Anderer fünf, ein Dritter dreißig, ein Vierter und Fünfter zehen und fünfzehen, kurz Jeder eine andere Zahl: und möglich ist es immer, daß Einer zufällig die richtige trifft, meinst du nicht?

Hermotimus. Allerdings.

Lycinus. Aber eben so möglich ist es auch, daß alle Zehen auf falsche Zahlen rathen, und auch kein Einziger sagt, zwanzig Bohnen habe der Mann in der Hand. Nicht wahr?

Hermotimus. O ja gewiß.

Lycinus. Eben so rathen auch die Philosophen hin und her, worin wohl jene wahre Glückseligkeit bestehen möge; der Eine, setzt sie in das Vergnügen, der Andere in das Sittlichschöne, wieder ein Anderer in etwas ganz Anderes. Es läßt sich sehr wohl denken, daß Eines von diesen wirklich das höchste Gut ist: es ist aber auch nicht unwahrscheinlich, daß dieses Gut irgendwo ist, wo noch Keiner gesucht hat. Es scheint mir also fast, wir machen’s verkehrt; wir eilen

Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0577.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)