Seite:Lucians Werke 0672.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

41. Der Geschichtschreiber sey also ein unbestechlicher, freisinniger, offener Wahrheitsfreund, ohne Menschenfurcht, der sich nicht schämt, Alles beim rechten Namen zu nennen,[1] der weder dem Haß, noch der Zuneigung auch nur das Mindeste über sich einräumt, und eben so wenig aus Schonung und Mitleid, als aus Schaam oder Ehrerbietung irgend Etwas verschweigt; er sey ein billiger, Allen gleich wohlwollender Richter, ohne dem einen oder dem andern Theile mehr, als ihm gebührt, zuzuerkennen: er zeige sich in seinem Buche als keiner besondern Heimath angehörig, als keines Staates Bürger, als keines Herrn Unterthan, sondern als einen unabhängigen Mann, der berichtet, was sich zugetragen, ohne in Anschlag zu bringen, was etwa Dieser oder Jener dazu sagen dürfte.

42. Sehr richtig macht somit Thucydides die Wahrheit zum Grundgesetz der Geschichte, und beurtheilt darnach das Verdienst oder die Verwerflichkeit eines Geschichtschreibers. Und obwohl er sah, wie Herodot die Bewunderung seiner Zeitgenossen in solchem Grade für sich gewann, daß seinen Büchern sogar die Namen der Musen beigelegt wurden, so wollte er doch, wie er selbst sagt, lieber ein Besitzthum für alle Zeiten, als ein Prunkstück für die Gegenwart schaffen;[2] kein Freund des Mährchenhaften, wollte er blos einen treuen Bericht des Geschehenen den kommenden Geschlechtern überliefern. Sein Zweck, setzt er an derselben


  1. Wörtlich: „wie der Komiker sagt, eine Feige eine Feige, und einen Kahn einen Kahn zu nennen.
  2. Thucydides I, 22.
Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0672.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)