Seite:Lucians Werke 0742.jpg

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40. Um Mitternacht bei vollkommen ruhiger See stießen wir, ohne es zu wissen, an ein entsetzlich großes Eisvogelnest von etwa sechzig Stadien im Umfang. Ein Eisvogel, nicht viel kleiner als sein Nest, saß auf demselben und brütete seine Eier aus. So wie er uns gewahr wurde, flatterte er auf, und hätte beinahe unser Schiff durch den starken Wind, den sein Flügelschlag verursachte, umgeworfen. Indem er davon flog, ließ er sonderbare, klagende Töne vernehmen. Als der Tag graute, bestiegen und betrachteten wir das Nest, das einer Art großen Floßes glich und aus gewaltigen Bäumen zusammengefügt war. Es enthielt fünfhundert Eyer, jedes größer als eine Chiische Tonne, in welchen man bereits die Jungen bemerkte und pipen hörte. Wir hieben eines derselben mit der Axt aus einander, und fanden ein nacktes Küchelchen, das stärker war als zwanzig Geier.

41. Wir steuerten weiter, und mochten uns ungefähr auf zweihundert Stadien vom Neste entfernt haben, als sich uns erstaunliche Wunderzeichen darboten. Die hölzerne Gans, die (zur Zierrath) auf dem hintern Ende unsers Schiffes angebracht war, fieng plötzlich an, die Flügel zu schlagen und laut zu schnattern. Unser Steuermann Scintharus, der längst schon einen Kahlkopf hatte, bekam auf einmal seine Haare wieder. Was aber das Allerwunderbarste war, so begann unser Mastbaum auszuschlagen, Zweige und Blätter zu treiben, und oben im Wipfel sogar Feigen und – wiewohl noch unreife – Weintrauben zu tragen. Man kann sich leicht denken, wie bestürzt uns dieser Anblick machte, und wie inbrünstig wir die Götter anflehten, das mögliche Unheil,

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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0742.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)