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Der Tyrannenmörder.[1]

1. Ich habe an Einem Tage zwei Tyrannen erschlagen, meine Richter, von denen zwar der Eine in Jahren schon sehr vorgerückt, der Andere aber voll Jugendkraft und darum desto geschickter war, die Zwingherrschaft des Erstern zu übernehmen. Gleichwohl trete ich nur mit dem Anspruch an Einen Ehrenpreis auf für die gedoppelte That. Unter allen bisherigen Tyrannenmördern bin ich der Einzige, der mit Einem Streiche zwei Bösewichte aus der Welt geschafft: indem ich den Sohn mit meinem Schwerte, den Vater durch die Verzweiflung über den Mord seines geliebten Sohnes tödtete. Und so hat uns der Tyrann die verdiente Strafe seiner Uebelthaten bezahlt, da er noch vor seinem Ende den Sohn hingerafft


  1. Dieser und die drei folgenden Aufsätze sind Deklamationen aus der rhetorisch-sophistischen Periode unseres Schriftstellers, dergleichen die Redekünstler als Musterreden über erdichtete Rechtsfälle für ihre Schüler aufzusetzen pflegten. – Den fingirten Fall, welcher vorliegendem Stücke zum Grunde liegt, erzählt eine alte Inhaltsanzeige: „Ein Mensch war auf die Burg in der Absicht gekommen, den Tyrannen aus der Welt zu schaffen. Da er ihn nicht selbst traf, durchbohrte er den Sohn desselben, und ließ sein Schwert in dem Leichname zurück. Als nun der Tyrann den Sohn ermordet fand, gab er sich in der Verzweiflung mit demselben Schwerte den Tod. Darauf gründet Jener den Anspruch auf den Ehrenpreis als Tyrannenmörder.“
Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0749.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)