Seite:Lucians Werke 0775.jpg

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keinen Grund, wegen seines Verfahrens ihn selbst anzuklagen: was er mir gethan, war ja nicht seine, sondern, wie gesagt, die Schuld seiner Krankheit. Ich erschien also ungefordert, fing aber nicht sogleich mit der Cur selbst an: denn Dieß wäre eben so sehr gegen unsere Sitte, als gegen die Regeln der Kunst gewesen, die uns bei einer Krankheit vor allen Dingen untersuchen heißt, ob sie ihrer Natur nach heilbar ist, oder ob sie außer dem Bereiche der Kunst liegt. Im erstern Falle nun, wenn wir sehen, daß das Uebel behandelt werden kann, versuchen wir es, und geben uns alle Mühe, den Kranken wieder herzustellen. Finden wie aber, daß das Uebel schon zu sehr überhand genommen und die Kräfte des Kranken überwältigt hat, so lassen wir uns auf Nichts ein, sondern befolgen die Vorschrift der alten Väter unsrer Wissenschaft, die Cur einer Krankheit, welche über die Natur schon Meister geworden, lieber gar nicht anzufangen. Weil ich nun nach sorgfältiger Beobachtung und Prüfung aller einzelnen Erscheinungen mich überzeugte, daß der Zustand meines Vaters nichts weniger als hoffnungslos, und sein Leiden der Heilkunde noch nicht über den Kopf gewachsen war, so übernahm ich seine Cur, und reichte ihm zuversichtlich den Heiltrank, wiewohl mehrere der Anwesenden meine Arznei mit argwöhnischen Blicken betrachteten, meine Behandlungsweise tadelten und bereits eine öffentliche Anklage gegen mich im Schilde führten.

5. Auch meine Stiefmutter war gegenwärtig, und äußerte laut ihr ängstliches Mißtrauen, nicht aus Widerwillen gegen mich, sondern aus bloßer Besorgniß, und weil sie genauer

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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0775.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)