Seite:Lucians Werke 0902.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

82. Freilich gibt es auch Tänzer, wie es Redner dieses Schlages gibt, die in ungeschicktem Eifer das wahre Maß der Nachahmung überschreiten, Alles bis zur Ungebühr übertreiben, und z. B. das Große in’s Ungeheure, das Zarte in weibische Weichlichkeit, das Männliche in thierische Wildheit ausarten lassen.

83. Ich selbst erinnere mich, dergleichen einmal von einem Tänzer gesehen zu haben, der sonst als ein verständiger Künstler in großem Ansehen gestanden hatte, und in der That alle Achtung verdiente. Allein ich weiß nicht, welches Verhängniß ihn eines Tages auf den Abweg führte, sein Spiel durch die unziemlichsten Uebertreibungen zu entstellen. Er hatte die Rolle des Ajax zu tanzen, wie er, sogleich nachdem er in dem Streite um die Waffen des Achilles den Kürzern gezogen, in Raserei geräth; und fiel so gänzlich aus dem Kreise des Schicklichen, daß er nicht einen Rasenden darzustellen, sondern selbst rasend geworden zu seyn schien. Einem der Tactschläger riß er die Kleider vom Leibe, und einem Flötenspieler nahm er die Flöte vom Munde, und versetzte damit dem neben ihm stehenden Ulysses, der über seinen Sieg triumphirte, einen so heftigen Schlag auf den Kopf, daß, wenn nicht sein Hut den Streich zum größten Theile aufgefangen hätte, der arme Ulysses den Zufall, an einen toll gewordenen Tänzer gerathen zu seyn, mit dem Leben hätte bezahlen müßen. Aber auch das Publikum schien den Wahnsinn des Ajax zu theilen; Viele sprangen auf, schrieen wie besessen, warfen ihre Kleider von sich: solche Menschen, Leute vom gemeinsten Pöbel, die keinen Sinn

Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 902. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0902.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)