Seite:Lucians Werke 1425.jpg

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wurden beide unter Melodieen auf den Wellen schwebend an das Gestade von Lesbos getragen. Dort hoben die Bewohner den Kopf auf und begruben ihn auf derselben Stelle, wo jetzt ihr Bacchustempel steht. Die Lyra aber brachten sie als Weihgeschenk in den Tempel des Apollo, und bewahrten sie dort viele Jahre auf.

12. Da begab es sich denn in der Folgezeit, daß Neanthus, des Lesbischen Fürsten Pittacus Sohn, der vieles von dieser Lyra gehört halte, wie sie wilde Thiere, Bäume und Felsen bezaubert, und sogar nach des Orpheus Tode noch, ohne daß sie Jemand berührte, Melodieen von sich gegeben hätte, von heftigem Verlangen nach dem Besitze derselben ergriffen wurde, und mittelst einer großen Geldsumme endlich den Priester bewog, ihm die Lyra des Orpheus auszuliefern, und eine andere, ähnliche, an ihrer Statt zu unterschieben. Wie er sie hatte, getraute er sich zwar nicht, am hellen Tage in der Stadt sich damit sehen zu lassen: aber des Nachts nahm er sie unter seinen Mantel, ging damit ganz allein in die Vorstadt, zog sie hervor, und fing nun an, in den Saiten zu wühlen, plump und ungeschickt, wie ein junger Mensch, der auch nicht das Mindeste von Musik verstand, aber überselig in dem Glauben, der Erbe Orphischer Tonkunst zu seyn, und seiner Lyra Melodieen entlocken zu können, die alle Welt entzücken und bezaubern müßten. Indessen kam, von dem Getöne angelockt, ein Rudel Hunde herzugelaufen, deren es dort gar viele gab, und zerriß ihn in Stücke, so daß der Unglückliche doch in so weit ein zweiter Orpheus war, daß er wenigstens Hunde zu sich heran zog. Und so zeigte sich’s denn augenscheinlich genug, daß nicht die Lyra,

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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 1425. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_1425.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)