Seite:Lucians Werke 1485.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

abstoßen und zurückkehren; während die unwissenden Landleute meinen, eine Jungfrau bewohne die Felsenklüfte und beantworte drinnen ihr Rufen und Singen.

4. Mir ist es, als werde der Geist des Redenden von der Pracht des ihn umgebenden Raumes emporgehoben, und der Anblick selbst helfe ihm, schöner zu sprechen. Der Eindruck des Schönen theilt sich durch das Auge dem Geiste mit, und so entströmt ihm eine, dem Schmucke des Ortes entsprechende Rede. Hat nicht in Achilles der Anblick seiner herrlichen Rüstung die Kampflust gegen die Troer gesteigert, und fühlte er sich nicht, als er sie nur zur Probe anlegte, unwiderstehlich gedrungen, sich in die Feinde zu stürzen? Und die Begeisterung des Vortrages sollte nicht erhöhet werden durch die Schönheit des Raumes? Dem Sokrates genügte[1] ein schöngewachsener Ahornbaum, ein frischer Rasen und eine klare Quelle unfern dem Ilissus; dort lagerte er sich und trieb sein ironisches Spiel mit Phädrus aus Myrrhinus, widerlegte die Rede des Lysias, und rief die Musen herbei in der Meinung, sie werden sich persönlich in seine Einöde verfügen und ihm in Hervorbringung seiner Abhandlungen über die Liebe an die Hand gehen.[2] Der Alte entblödete sich also nicht, jene züchtigen Jungfrauen zu seinen päderotischen Unterhaltungen einzuladen. Und wir sollten nicht hoffen dürfen, daß die Musen in einen so schönen Raum auch ungerufen kommen werden?


  1. Plat. Phädrus a. Anf.
  2. Συνεπιληψομένας mit Guyet.
Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 1485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_1485.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)