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Solches zeugte die Sibylle, und man glaubte ihr. Wie schade, daß sie keine Kassandra war!

59.
Seejungfrauen.

Bei der Stadt Salzungen liegt ein kleiner aber sehr schöner See, und in der Umgegend sind ebenfalls einige noch kleinere Seeen gelegen, und es ist in der ganzen Umgegend die Nixensage heimisch. Im Salzunger See, der auch alle Jahre sein Opfer verlangt, nämlich einen Todten, welches ganz sprüchwörtlich geworden, soll eine Wasserfrau wohnen, die ist früher bisweilen herausgekommen und durch die See’spforte zu den dicht an derselben befindlichen Fleischbänken, die jetzt nicht mehr vorhanden sind. Das Haar dieser Wasserfrau war grünlich und der Saum ihres Gewandes war immer handbreit naß. Einst hackte ein böser Metzger, der es merkte, daß sie die Wasserfrau war, mit seinem Fleischermesser ihr einen Daumen ab – da ist sie schreiend wieder hinab zum See geeilt, und niemals wiedergekommen, in des Metzgers Bank begann aber alsbald alles Fleisch zu faulen, und immer roch es darin, wie faule Fische, so daß niemand mehr von ihm kaufte, und er zuletzt als armer Bettler sich in dem See das Leben nahm. Andere sagen, die Wasserfrau habe einstmals in den Fleischbänken ein Kind zurück gelassen, und sei dann niemals wieder gekommen. In den „hünischen Hof,“ ein steinernes Burghaus dicht am See, das von dem ausgestorbenen Adelsgeschlechte der Herren von Hun oder Haun

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/101&oldid=- (Version vom 1.8.2018)