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und war ein lahmer Krüppel, der stets des Sprüchleins eingedenk war: langsam kommt man auch weit, der seinen Esel nie zur Eile trieb, und seinen Hohn und Spott darüber hatte, wenn die Fleischer, von ihren übrigen Kunden gedrängt, in Verzweiflung waren und ihn mit Scheltworten empfingen. Da der Krüppel sein kommen mit Absicht immer mehr und mehr verzögerte, so schwur der Gildemeister ihm zornig zu, er wolle ihm Beine machen, wenn er noch einmal so lange säume. Das wolle er sehen! antwortete Limpert, und nahm die Drohung wörtlich, indem er nun in der That gerade noch einmal so lange zu kommen säumte, als er bisher gesäumt hatte. Darauf machte der Gildemeister dem Krüppel Beine in die Ewigkeit – er schlug ihn tod, ließ ihn in Stücke hacken, mit diesen Stücken die Fleischkiste des Esels füllen und letzteren zur Burg treiben. Diese That erregte sachgemäß den wüthendsten Zorn des Grafen gegen ganz Gerstungen; er befehdete das Städlein, und ließ es keinen guten Tag mehr sehen, bis flehentlich unter Erbietung jeder Sühne um Gnade gebeten wurde. Darauf verlangte der Graf zur Sühne seines ermordeten Limpert drei Scheffel voll Silberheller, alle einen und desselben Gepräges, drei himmelblaue Windhunde und drei mannshohe Eichenstäbe ohne Knoten. Diese drei Auflagen sollten binnen Jahresfrist beigeschafft sein, oder die Metzgerzunft in Gerstungen solle ihre Unthat blutig und schrecklich büßen. Da war guter Rath theuer, doch endlich wurde er gefunden. Der Rath verkündete, daß er auf eine gewisse Sorte Silberheller des Stiftes Fulda, das deren sehr viele geprägt, Agio zahlen wolle, da strömten Juden und Bettelleute in Menge herbei und schafften Heller, bis die drei Scheffel

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/110&oldid=- (Version vom 1.8.2018)