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sehr schneidend und herb waren. Durch den Widerstand von fünfen gegen einen erhitzte sich dieser eine, Heinrich von Ofterdingen, immermehr, bis, entweder wirklich oder scheinbar, das lyrisch-oratorische Drama dieses Singerkrieges zu einem Spiele um Tod und Leben wurde, und selbst die edle Landgräfin Sophie eine Rolle in demselben übernehmen mußte. Denn da Heinrich von Ofterdingen durch die von seinen Gegnern gesungenen Räthsel und Gleichnisse endlich verwirrt wurde, und jene ihn mit dem Tode von der Hand des Meister Stempfel, der als Statist mit Schwert und Stricken seitwärts der Bühne stand, bedräueten, so warf sich Heinrich von Ofterdingen Schutz erflehend zu den Füßen der Landgräfin, und diese legte nun mit wahrer Fürstenhoheit den Edelmuth einer herrlichen Frau an Tag, indem sie, ihren Mantel über den bedrohten Sänger breitend, obschon er gegen ihren Herrn und Gemahl gesungen, die herrlichen Worte sprach:

„Wem ich die Hand je bot
Der läßt ihn wol genesen!
Herr Wolfram von Eschenbach,
Walter, Reimar, Herr Schreiber laßt euch sagen
Wart je zuvor ich Eurer Eines Kummers Dach (Schirm)
So sollt ihr euern Zorn vertagen.

Da nun Heinrich von Ofterdingen auf einen Schiedsrichter sich berufen und angetragen hatte, so wurde ihm zugestanden, denselben herbeizurufen. Dieser war der berühmte Meister Klinsor aus dem Ungarlande, Magus, Astrolog, Arzt, Bergmann und Dichter, und da Ofterdingen Urlaub erhalten, hob er sich von dannen, und fuhr zunächst gen Oesterreich zum Erzherzog Leopold, und bat diesen um Rath und um Empfehlungsbriefe an Klinsor. Letztere brachte er nun dem berühmten Meister, der in Siebenbürgen

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/162&oldid=- (Version vom 1.8.2018)