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begrüßen, und fragten Ofterdingen, allwo von ihnen beiden die letzte Nachtrast gehalten worden sei? Darauf antwortete Ofterdingen: In Siebenbürgen legten wir uns schlafen, zur Zeit der Mette müssen wir hier gewesen sein; ich weiß es nicht zu sagen, wie mir geschehen ist. – Und Klinsor bewirthete die Sänger und behielt sie bei sich bis gegen Abend, da sie zum Theil wieder hinauf zur Burg gingen, dann saß er im Hellegrafen Hofe mit mehreren Bürgern, die zu Gaste kamen, im Gespräche, und blickte mit großer Aufmerksamkeit nach den Gestirnen. Die Bürger fragten ihn, ob er etwas heilsames im Stande der Gestirne lese? und er sagte ihnen: Ihr sollt wissen, daß heute Nacht meinem Herrn, dem Könige Andreas von Ungarn, ein Töchterlein geboren wird; diese wird man Elisabeth nennen, sie wird dem Sohne eures Herrn, des Landgrafen von Thüringen, vermählt werden, und der Ruf der Frömmigkeit und Heiligkeit dieses Paares wird durch alle Lande erschallen. – Ueber diese Rede erstaunten die Bürger, und als am andern Tage Klinsor mit Ofterdingen festlich eingeholt, und mit großem Gepränge auf der Burg empfangen ward, sagte ersterer auch dem Landgrafen und der Gemahlin desselben an, was er in den Sternen gelesen, und dieß wurde mit merklicher Freude vernommen. Klinsor hatte bei sich eine zahlreiche Dienerschaft, niemand wußte, woher sie gekommen war, und prunkte einher gleich einem Bischof; er war sehr reich, und hatte ein wenig mehr Gehalt, als die heutigen Hexenmeister, Sternseher, Propheten, Aerzte, Bergverständige und Dichter, selbst wenn einer das alles in seiner Person vereinigte, und obschon mancher König sehr freigebig ist; Klinsor hatte jährlich 3000 Mark Silbers. – Nach dem glänzenden Empfange

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/164&oldid=- (Version vom 1.8.2018)