Seite:Ludwig Bechstein - Thüringer Sagenbuch - Erster Band.pdf/165

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und dem Mahle ging Klinsor in das Ritterhaus (so heißt der vordere Theil der Wartburggebäude noch bis diese Stunde), die strittigen Sänger zu scheiden und zu versöhnen; solches gelang ihm auch, nur Wolfram von Eschenbach that sich noch hervor mit seinen Liederstrophen, die er im Widerstreit gesungen hatte. Und als in der That Klinsor nicht vermochte, diesen Sänger zu überwinden, bediente er sich der Hülfe eines Geistes, Nasias oder Nosion genannt, der mußte in Gestalt eines Priesters erscheinen und mit Wolfram kämpfen, doch mit hohen und gelehrten Worten und Redensarten, die über menschliche Vernunftbegriffe hinauszugehen pflegen. Der Geist war sehr kundig der Weltgeschichte und aller menschlichen Gesetze und Einrichtungen, aber Wolfram sprach gegen ihn von hohen und geheimnißvollen Dingen, von Christi Menschwerdung, vom Sakramente des Altars, von dem Worte, das Fleisch ward, und so hielt der Geist Wolfram für einen geweihten Priester, und kam noch einmal in dessen Wohnung, die sich bei einem Bürger in der Stadt Eisenach, Namens Gottschalk, befand, welcher nicht weit vom Sulzenborne wohnte, und versuchte Wolfram noch einmal, indem er ihn nach der Natur der Sphären fragte, nach Planeten und Sternen, und da von diesen Dingen Wolfram keine Kenntnisse hatte, so lachte ihn der Teufel höhnend aus, und schrieb mit feurigem Finger in einen Stein eine feurige Schrift: „Du bist ein Laie, schnipp, schnapp!“ Diese Schrift brannte und glühete lange in dem Steine und alle Welt kam gelaufen und wollte sie, wenn nicht lesen, so doch sehen, das ärgerte den Bürger Gottschalk, und er ließ alsobald den Stein aus der Wand brechen und ins Wasser werfen.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/165&oldid=- (Version vom 1.8.2018)