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war allem Prunke und aller Hoffahrt abhold, und ging für gewöhnlich so gering einher, daß man sie wol eher für eine dienende Frau des Hauses als für die Herrin des stolzen Wartburgschlosses und des gesammten Landes Thüringen hätte halten können. Diese übertriebene Einfachheit blieb nicht ohne Mißbilligung und erschien nicht stets am rechten Orte. Bald nach ihrer Vermählung waren vier edle Ungarn auf einer Betfahrt zu Aachen gewesen, allwo man viele Heilthümer ausgestellt und großen Ablaß verkündet hatte; diese waren vom Könige Andreas beauftragt worden, auf ihrer Rückkehr durch Thüringen die Wartburg zu besuchen und Kunde mit in die Heimath zu bringen, wie es Elisabeth ergehe. Sehr willkommen war dieser Besuch, aber dem Landgrafen, als er die Magnaten mit seiner Gemahlin empfangen wollte, erschien Elisabeths Anzug doch allzu gering und schmucklos, und sie besaß auch kein schönes Gewand, denn ihre prachtvollen Brautkleider hatte sie zerschnitten und die Stoffe zu wohlthätigen Zwecken verwendet. Da sagte der Landgraf zu ihr: Aber liebe Schwester, schämen muß ich mich doch vor Deinen Landsleuten, wenn sie, die so prachtvoll gekleidet einher gehen, Dich in solchem armseligen Gewande erblicken! Sie werden das meiner Kargheit zuschreiben und denken und sagen, daß ich Dir es am nöthigsten fehlen lasse. Darauf erwiederte Elisabeth: Lieber Bruder, lasse Gott walten! – Darauf ging sie in ihre Kleiderkammer, und ward hernach von den edeln Ungarn mit großer Verwunderung geschaut in einem wundervoll schönen hyacinthenfarbenen Kleide, das war ganz übersäet mit Perlen und Edelsteinen, schöner, als noch je das Kleid der reichsten Königin auf Erden erblickt worden war. Da nun hernach,

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/177&oldid=- (Version vom 1.8.2018)