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habe? Erschrocken bebten ihr die Worte von den Lippen: Herr, in meiner Kammer. Alsbald sandte der Landgraf eine der dienstthuenden Hoffräulein hin, den Mantel zu holen, und siehe, da ward ein Mantel gebracht, der war von himmelblauem Stoff, mit kleinen goldenen Bildchen bestreut, und so fein und rein, daß er später lange zu einem Meßgewande gedient hat, das im Barfüßerkloster zu Eisenach aufbewahrt wurde.

Die große Milde, welche die fromme Landgräfin Elisabeth unablässig gegen die Armen bewieß, wurde noch mehr in Anspruch genommen und gesteigert, als eine Zeit schrecklicher Hungersnoth das Thüringerland heimsuchte. Täglich schritt sie, von Dienerinnen gefolgt, welche die Gaben ihrer Milde trugen, soviel nicht die Landgräfin selbst zu tragen vermochte, zum Fuße der Wartburg nieder, allwo die Armen ihrer harrten, und vertheilte Almosen und Lebensmittel in Fülle. Elisabeths Mißgünstige äußerten sich nicht selten tadelnd gegen den Landgrafen, daß seine Gemahlin allzuviel verschenke, ja auch sich selbst zuviel vergebe durch den persönlichen Verkehr mit dem nicht sauberen hungernden und lungernden Gesindel, und da geschahe es, daß eines Morgens Elisabeth, wie sie gewohnt war, zu thun, ein Körbchen mit Lebensmitteln tragend, aus der Burg schritt, und der Landgraf, der wol schon gegen sie über ihre allzugroße Freigebigkeit sich mißbilligend ausgesprochen haben mochte, zu ihr trat und nicht gerade freundlich fragte: Was trägst Du da? Erschrocken und zagend gab die edle Herrin zur Antwort: Herr, Blumen! – Ich will sie sehen, zeige her! rief der Landgraf, und hob die Hülle vom Korbe. Und siehe, der Korb war übervoll Rosen. Der Landgraf stand staunend

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/179&oldid=- (Version vom 1.8.2018)