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Und so reicht in die Geschichtssagen von der Wartburg immer wieder der Dämonenmythus herein, der in eigenthümlicher Weise sich innerhalb dieses bergigen Gebietes seßhaft gemacht hatte, und noch in mehr als einer Sage wiederkehrt.

109.
Die verfluchte Jungfer.

In den dämonisch-mythischen Sagenkreis der Eisenacher Gegend gehört auch die „verfluchte Jungfer.“ Eine Felshöhle ziemlich hoch über der linken Wand des Marienthales wird vom Volke seit uralten Zeiten „das verfluchte Jungfernloch“ genannt. Einst soll zu Eisenach eine Jungfrau gelebt haben, von übergroßer Schönheit, aber auch von übergroßem Stolze, Hochmuth und prunksüchtigem Weltsinn. Stets putzte sie sich, und strählte, gleich der Lurelei am Rhein, ihr goldenes Haar mit goldenem Kamme, vergaß und versäumte darüber sogar des Gottesdienstes, denn sie wurde nicht fertig mit strählen, Zöpfe flechten, Geschmuck und Geschmeide anlegen, und da ihrer frommen Mutter dieses Thun ein Gräuel war, Bitten und Ermahnungen aber gänzlich fehl schlugen, so hat die Mutter diese Tochter in den Stein verwünscht, bis ihr Gott helfe. Dort ist sie nun in die Felshöhle gebannt, vor der kein Gras wächst, und läßt sich zu Zeiten sehen; manche sagen nur alle sieben Jahre, andere gar nur alle hundert Jahre. Zu Zeiten ist ein rothes Hündlein bei derselben erblickt worden. Man sieht sie droben sitzend oder stehend und immer weinend, auf Erlösung hoffend, die nur dadurch

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/215&oldid=- (Version vom 1.8.2018)