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116.
Das Alp.

Zu einem Manne in der Ruhl kam allnächtlich das Alp und drückte ihn ganz erbärmlich. Er klagte seine Leiden einem kundigen Freunde, und der gab ihm den Rath, er möge sobald er im Begriffe sei, zu Bette zu gehen, alsbald sein Schlüsselloch verstopfen, denn durch dieses ziehe sich das Alp in das Zimmer, sei so dünn und so leicht wie eine Flaumfeder und werde dann dick und schwer, und drücke einen wie Blei, daß man vermeine die Seele müsse einem ausfahren. Sei das Alp, wenn das Schlüsselloch verstopft werde, noch drausen außerhalb der Schlafkammer, so könne es nicht hinein und der Schlafende habe Ruhe – sei es aber schon darin, so müsse es sich sichtbar zeigen. – Der Geplagte probirte dieß Stücklein, verstopfte vor Schlafengehen das Schlüsselloch, und siehe, – auf seinem Bette saß sichtbar und leibhaftig das Alp, eine Frauengestalt in feiner Kleidung, in einem weißen Schleier, und von besonderer Schönheit – aber dabei von sehr ernsten Zügen. Dieses Alp gefiel dem Ruhler, und er behielt es bei sich, und lebte mit ihm, als mit einer Frau – aber gleichwohl, wenn sie auch des Mannes Liebkosungen duldete, lachte sie niemals und bat nur immer, er möge das Schlüsselloch öffnen, denn selbst dürfe und könne sie dieß nicht thun, und wie sie herein gekommen sei, so müsse sie auch wieder hinaus. Das schien dem Manne aber gar nicht glaubhaft, daß eine erwachsene Frauensperson, wie sein gefangenes Alp, durch ein Schlüsselloch schlüpfen könne, und so nahm er einst ganz unvermerkt den Stoff, mit dem er das Schlüsselloch

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/228&oldid=- (Version vom 1.8.2018)