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in die Stadt herein braußte, sie und die ganze Gegend furchtbar überschwemmte, und bis in die oberen Stockwerke der Häuser drang. Da war guter Rath sehr theuer, zudem das Wasser, obschon die heftige Strömung bald nachließ, fort und fort allzustark hervorquoll. Man fand allerlei Fische, Aale, Karpfen, Hechte und Forellen auf Bäumen, und das wurde Anlaß, zum Angedenken an diese Fluth das Stadtwappen so zu bestimmen, wie es nach der Hand an vielen Urkunden ersichtlich ist. Der Stadtrath berief aber auch zugleich einen nekromantischen Mönch aus Reinhardtsbrunn, daß er die Quelle besprechend stopfte, und dieser erheischte als Sühne für den zürnenden Wassergeist den berühmten Sammetärmel, mit dem sich in kleinen thüringischen Städtlein, wie man auch von Plaue bei Arnstadt, Blankenburg, Wasungen u. A. meldet, ehedem der Bürgermeister Sonntags aus dem Fenster legte, um die Leute glauben zu machen, er besitze einen völligen Talar von Sammet. Sothanen Aermel stopfte der Reinhardsbrunner Mönch unter gemurmelten Zaubersprüchen in die Quelle, und alsbald hörte sie auf zu fließen, und zwar so, daß auch kein Tropfen mehr ausfloß. Da war guter Rath abermals theuer, denn es gab nun kein Trinkwasser mehr zu Waltershausen, und das gute Bier, das man daselbst schon seit hundert Jahren braut, verstand man noch nicht zu brauen, ist auch schwer, Bier zu brauen ohne Wasser. Da wurde die Stadtgemeinde Waltershausen mit der Dorfgemeinde Wahlwinkel einig um einen Bach, den die erstere der letzteren um ein Stück Tannenwald abtauschte, und mit großen Kosten in die Stadt leiten ließ. Jene Quellstätte heißt heute noch „Der Sammetärmel“.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/285&oldid=- (Version vom 1.8.2018)