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weit mehr Brod austheilte, als sonst, und keinen Armen ohne Spende aus der Klosterpforte gehen ließ, so fürchtete der Abt, es möge bei dem eingetretenen Kornmangel zuletzt dem Convente selbst an Nahrung gebrechen, und sprach darüber mit dem Bäcker, der aber erwiederte getrost: Wir haben des Korns vollauf, und dürfen nicht sorgen. Gleichwol gebot der Abt dem Bäcker die äußerste Sparsamkeit, und verordnete, nur an bestimmten Tagen die Armen zu speisen – aber gleich am andern Tage, welcher keiner der bestimmten Tage war, sah der Abt den Backmeister mit bauschenden Geren (Rockschoß) voll Brod über den Hof kommen und nach der Pforte zu schreiten, wo die Armen harrten. Rasch trat der Abt ihn an, wie Landgraf Ludwig vordessen die heilige Elisabeth am Wartburggange, mit der Frage: Was trägst Du? – Spähne! Herr Abt Gnaden! antwortete der Bäcker. Da riß der Abt ihm den Rockschoß auf, und da fielen eitel Hobelspähne heraus. Der besorgte Abt aber begab sich nun in eigener Person auf den Fruchtboden, und erschrak nicht wenig, als er denselben fast leer fand, und so wenig Vorrath, daß damit der Convent unmöglich ausreichen konnte, und wenn auch gar kein Brod an die Armen gegeben wurde. Sehr erzürnt ließ der Abt den Bäcker nun zu sich entbieten und schalt ihn übel, und sagte ihm, der Fruchtboden sei ja fast leer, und wohin er denke? Woher er Brodfrucht nehmen wolle? – Der fromme Bäcker hörte des Abtes Strafpredigt ganz geduldig an und sprach dann: Herr Abt Gnaden, ich kann’s nicht glauben! – So sollst Du es schauen, folge mir! – gebot der Abt, und der Bruder Kornrentner mußte abermals mit hinauf und den Fruchtboden öffnen. Und da stand Korns die Fülle, Sack an Sack, genug auf Jahr

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/289&oldid=- (Version vom 1.8.2018)