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sich unvermuthet ein Mönch zu, welcher sie bedeutete, daß der Schatz allerdings vorhanden sei, aber im Stalle liege und dort unter tiefem Schweigen gehoben werden müsse. Die Männer gruben eifrig und schweigend an der bezeichneten Stelle, und bald kam ein kupferner Kessel zum Vorschein, angefüllt bis zum Rande mit alten verschimmelten Thalern. „Herr Gott, die Menge!“ schrie einer der Männer laut auf, und plumbs versank der Kessel mit den Thalern und schwabb hatte der Sprecher eine Ohrfeige, daß ihm hören und sehen verging.

Auch eine weiße Jungfer läßt sich im Weikersroder Schlosse zu Zeiten sehen; sie trägt ein Schlüsselbund und möchte gern erlöst sein; auch sie ist eine Schatzhütherin, wie jener Mönch ein Schatzhüther, und an das stillschweigende Heben der Schätze ist die Erlösung beider geknüpft. Diese Jungfrau erschien einer Magd des Schlosses auf einem Gange, bot derselben ihr Schlüsselbund an, und sagte ihr, in einem alten Schoppen gegenüber dem Schlosse ruhe der Schatz, der ihr, der Magd, bescheert sei, in einem Kasten; sie solle denselben getrost öffnen, und daraus alles nehmen, was sie finde. Die Magd eilte nach dem Schoppen, fand die alte Truhe, die sie vorher nie gesehen, schloß und schlug den Deckel auf, und siehe, die Lade war voll Geld bis an den Rand, oben darauf aber lag ein kleines todtes Kind, dem stak ein Messerlein in der Brust. Da grausete der Magd über alle Maaßen, sie enteilte bebend – und da tritt ihr die Jungfrau entgegen mit Händeringen, nimmt ihr das Schlüsselbund wieder, und verschwindet unter schweren Seufzern, denn die von ihr gehoffte Stunde ihrer Erlösung hatte abermals noch nicht geschlagen.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/34&oldid=- (Version vom 1.8.2018)