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In Hildburghausen erzählt man sich auch eine solche Lichtstubengeschichte, doch mit anderer Färbung. Dort ist’s ein Schuhstersgeselle, der sich bei einer Wette anheischig machte zur Mitternachtstunde in der Gottesackerkirche zu arbeiten. Gesagt, gethan, mit einem male steht an der Stelle, wo er seinen Sitz aufgeschlagen, eine Todtenbahre, auf der ein ausgestreckter Leichnam liegt. Nach einer Weile, da der Schuhster arbeitet, richtet sich der Leichnam in die Höhe, da faßt der Schuhster seinen Hammer, ruft: Was tod ist, bleibe tod! und schlägt den Leichnam vor die Stirne; da sinkt dieser alsbald zurück und der unerschrockene Schuhster flickt weiter. Nach einer Weile erhebt sich der Leichnam abermals, aber nur um einen noch härteren Schlag zu empfangen, der ihn wieder die Länge lang hinstreckt. Nach vollbrachter Arbeit packt der Schuhster sein Arbeitsgeräthe zusammen, und eilt zur Gesellschaft zurück. Verwundert wird er empfangen und mit zahlreichen Fragen bestürmt, wie es ihm ergangen sei, ob ihm nichts erschienen? Unbefangen erzählt er, daß ein langer Kerl auf einer Todtenbahre als Todter gelegen, und sich ein paarmal gegen ihn aufgerichtet habe, er aber habe ihn mit seinem Hammer was weniges an die Stirne getippt und gerufen: Was tod ist, das bleibe tod! – Darüber entsetzten sich alle Lichtstubengenossen, denn einer ihrer Kameraden hatte sich fortgeschlichen in aller Eile, wie die frevle Wette gemacht wurde, und sich als Todter auf die Bahre gelegt, um den Schuhster tüchtig zu erschrecken. Und nun lag er noch immer dort und hatte das Aufstehen völlig vergessen, und im vollen Maaße hatten beide ihres Vorwitzes Strafe dahin.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/36&oldid=- (Version vom 1.8.2018)