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und beobachteten den Mond. Plötzlich gewahrte der eine von den Dreien, daß sich über die Schulter des einen seiner Kameraden ein Schäfer lehnte, groß und stattlich von Gestalt, mit krausem vollen Barte, den Kopf mit einem weitkrämpigen Schlapphute bedeckt und in der Hand die lange Schippe. Der Schäfer machte eine gar nicht unfreundliche Miene, sondern schaute sehr ruhig drein; der aber, auf dessen Schultern die Gestalt des Schäfers sich lehnte, sah, fühlte und merkte nichts von ihr. Indem schlug die Thurmuhr Mitternacht, und die Erscheinung verschwand. Vergebens sahen alle drei, nachdem der Kamerad verkündet hatte, was er gesehen, sich nach dem gespenstigen Schäfer um. Zu einer andern Zeit hatten zwei andere Bürger Nachts die Wache am Schloßthore; beide standen in ziemlich gleichgültigen Gedanken, da trottelte aus der Schloßecke her plötzlich ein Hase auf sie zu, blieb vor ihnen still stehn und machte seine Männchen. Die Wächter haschten nach dem Hasen, konnten seiner aber nicht habhaft werden. Jetzt wollten jene den zudringlichen Lampe in die Flucht jagen, allein dieß gelang wieder nicht, vielmehr wurde der Hase größer und größer, begann seine großen Augen wie Feuerräder zu rollen, und was weniges Feuer auszupuhsten. Noch hielt die Tapferkeit der Bürgerwehrmänner standhaft Stand, sie legten ihre rostigen Schießprügel auf ihn an, und wollten Feuer geben, es gab aber keiner Feuer, weil beiden das Gewehr versagte – und darauf verschwand alles, der Hase zuerst und dann die beiden Wehrmänner; sie ergriffen nämlich das Hasenpanier und flüchteten zitternd in ihr sicheres Wachtstüblein hinein.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/39&oldid=- (Version vom 1.8.2018)