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26.
Die Jungfrau mit dem Zopf.

Häufig wird an alten öffentlichen Gebäuden in dieser Gegend noch das Wappen der Grafen von Henneberg-Schleusingen erblickt, oft sogar sehr kunstvoll in Stein gearbeitet, über dem der eine Helm als Zier eine wachsende gekrönte Jungfrau trägt, aus deren Krönlein eine mit Pfauenfedern besteckte Säule emporragt. So am Thore zu Veßra, zu Schleusingen, am Brückenthore zu Themar, an der Kapelle auf der Obermaßfelder Brücke, am Schlosse zu Maßfeld etc. Diese Jungfrau ist ohne Arme gebildet, hat aber einen starken Zopf, nicht selten auch 2 Zöpfe. Alte heraldische Fürstenschmeichler haben in Reimen und doch sehr ungereimt in diesem Jungfrauenbilde eine Pallas oder Minerva erblickt, als Zeichen der großen Weisheit des gräflichen und fürstlichen Herrschergeschlechtes, während die Annahme dieser Helmzier in eine sehr späte Zeit fällt. Die Sage vermittelte die Erklärung dieses Helm- und Wappenschmuckes auf eine sehr romantische Weise, und in mannichfaltiger Abwandlung.

Ein junger Graf von Henneberg lernte im heiligen Lande die Tochter eines Königes von Arabien kennen und gewann ihre Liebe, doch mußte er von ihr sich trennen und in seine Heimath zurückkehren. Der Sarazenin aber ließ es nicht Rast noch Ruhe, sie nahm ihre Schätze und ihre Diener und zog mit ihrer ganzen Habe in das Abendland, und erreichte endlich die Grafschaft Henneberg. Wie sie nun durch das obere Werrathal zog, und in die Nähe des Klosters Veßra kam, vernahm sie von den beiden Thürmen der Abtei und von allen umliegenden Orten her

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/48&oldid=- (Version vom 1.8.2018)