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ein feierliches Glockengeläute, und vernahm, als sie nach der Ursache desselben fragte, man feiere das Hochzeitfest des Landesherrn. Als die Sarazenin nun weiter forschte, wie dieses Gebieters Name sei, so wurde ihr der Name ihres Geliebten genannt. Da war die arme morgenländische Prinzessin außer sich vor Schmerz, riß ihre schönen Haarzöpfe sich aus, gründete ein Nonnenkloster, nachdem sie Christin geworden war, und nannte es, weil sie nur darin eine Stätte des Trostes zu finden vermochte, Troststatt, verwandte all’ ihr übriges Geld und Gut zu frommen Zwecken, erbaute die Brücken bei Ober- und Untermaßfeld, und lebte gar nicht lange. Den Grafen aber rührte die Liebe der Sarazenin sehr, und er suchte ihr Andenken auf alle Art zu ehren; er nahm ihr Bildniß als Zier auf seinen Helm, führte es so auf Turnieren, ließ es überall abbilden, und ihren Leichnam ließ er in der Abtei Veßra beisetzen, und ihr im oberen Chore der Kirche ein schönes Denkmal, in Form einer Tumba aufrichten; darauf sahe man, einer alten Nachricht zu Folge, ihr steinernes Bildniß mit schwebenden oder zu Feld geschlagenen Haaren auf einem Ruhebette von Säulen getragen. Ueber dem unteren Kleide trug sie einen langen Mantel, von einem schmalen Gürtel zusammengehalten, hatte vorn unter dem Halse ein edel Gespang auf der Brust, und einen Leidschleier oder Binde vom Haupte bis zu den Füßen hangen. Am Kissen unter ihrem Haupte erblickte man zwei Engel, welche dieses Kissen mit ihren Händen hielten.

Die spätere, meist ungeschickt verjüngende Sage läßt jene Fremde die Tochter eines moskowitischen Kaufmannes sein, ja noch schlimmer die eines Würzburger Kaufmanns,

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/49&oldid=- (Version vom 1.8.2018)