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Marie im Grünthal berühmt nach allen Seiten hin, und es strömten Lahme, Blinde und Menschen mit jeglichem Gebreste beladen herbei, dort Hülfe zu finden, und vielen, sehr vielen hat ihr Glaube geholfen. Dann wurde eine prachtvolle Kirche erbaut vom Fürstgrafen Wilhelm von Henneberg, die hatte 14 Altäre, und es gedieh dahin, daß man in einem Jahre der Waller nicht weniger als 40000 zählte. Ja es sollen im Jahre 1503 auch 300 Ritter aus Aethiopien oder Mauretanien alldort gewesen sein, die Hülfe gegen die damals fürchterlich wüthende Krankheit der Lepra suchten, welche schlimme Krankheit nach der Homöopathen Behauptung ein jeder Mensch still und maskirt in seinem Leibe herumträgt. Uns will bedünken, die „trecenti Mauri equites“ der Ueberlieferung dürften ebenfalls Zigeuner gewesen sein.

Die Wallfahrt stand in ihrem höchsten Flor, als Luther auftrat, von ihr hörte, gegen sie eiferte – er war es ohne Zweifel, der zuerst den unschuldigen Namen Grinthal (wie man damals sprach) in das schlimme Grimmenthal umwandelte, und in seinem Grimme den Wallfahrtort ein rechtes vallis furoris, Thal des Grimmes, schalt. Schnell, wie sie aufgeblüht war, blühte die Wallfahrt ab, die alte Linde aber, deren fast erstorbener Stamm 36 Fuß im Umfang klaftert, der stärkste aller starken Bäume Thüringens – grünt dennoch jedes Jahr, und trägt noch Blüthen, und nährt noch Bienen. Er versinnbildet der Sage ewig junges Leben.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/71&oldid=- (Version vom 1.8.2018)