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Am Fußwege von Rohr nach Meiningen findet sich im Hutrasen ein Kreuz eingegraben, von dieser Gestalt: welches ein Grabkreuz vorstellen soll, oben mit seinem Wetterdach, unten mit dem Klotz, der in die Erde kommt. Das hat ein Schäfer, der dort hüthete, mit seiner Schippe so gebildet, weil vor mehr als 50 Jahren der alte Hirschwirth aus Meiningen, von Rohr, wo er Geschäfte gehabt, heimkehrend, an jener Wegstelle umfiel und vom Schlage gerührt verstarb. Er hatte noch so eben hinter sich in Rohr Glockengeläute vernommen, und einige ihm begegnende Weiber gefragt, weshalb man drunten im Dorfe läute, da doch nicht Sonntag und kein Feiertag war – und da war ihm die Antwort geworden: „Häs is heint dronge ä Licht.“ (Es ist heute drunten eine Leiche.) Ei, selt es jo racht hüsch! Mügt og dronne ze Ruhr begrabe wär – antwortete der alte Hirschwirth in seinem unschönen Meininger Dialekt. Bann ich derhämm sterr, wird am Enn net gelüt’t on net getüt’t. – Sprachs, ging seines Weges, und nach ohngefähr 100 Schritten fiel er um und war tod, noch auf Rohrer Gebiet, und wurde dann mit Sang und Klang nach seinem Wunsch zu Rohr begraben. Darauf grub der Schäfer jene Kreuzfigur in den Rasen, und das ist etwas tief wurzelndes im Volksbrauch, daß solche Kreuze stets erneut werden. Ich sah das Kreuz zuerst auf einer Wanderung im Jahre 1836, und hörte die Sage erzählen. Im Jahre 1841 kam ich wieder dort vorbei, und das Kreuz war noch ebenso erhalten, als sei es jüngst gegraben. So ist es auch mit einem Kreuze unterhalb der Ruine des Straufhain, das man mit Steinen zum Andenken zweier Liebenden gelegt hat. Stets, wenn ein Zufall die Steine wegführt, legt

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/73&oldid=- (Version vom 1.8.2018)