Seite:Märchen (Montzheimer) 017.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Schon war Elligod entschwunden. Der Lauscher lugte vorsichtig durch das dichte Grün. Fast hätte er einen Ruf des Entzückens ausgestoßen, als er nun einen Blick in die Halle tun konnte. Gold und Silber funkelte an den Marmorwänden, an denen auch kunstvolle Mosaikbilder prangten. Kostbare Stoffe bedeckten die Ruhesitze, die ringsum standen. Ein goldner Sessel erschien besonders prächtig, und auf diesem Sessel saß eine wunderschöne Frau in seidenen Gewändern. Ein langer Schleier wallte von ihrem Haupt, auf dem ein goldenes Diadem funkelte. Ihre weißen Hände aber glitten leise, wie unbewußt, über die Saiten einer zierlichen Harfe, die im Sonnenlicht goldig glänzte, während das bleiche Antlitz der schönen Frau traurig auf das Meer hinaus in die Weite blickte.

Kaum wagte der König zu atmen, so gespannt harrte er der kommenden Dinge, denn die fesselnde Erscheinung dort mußte die Königin Goldwina sein.

Und nun begann diese plötzlich zu singen, erst leise, wie ein träumendes Vöglein, dann lauter, aber so weich und innig, daß König Ringolf plötzlich an den Gesang seiner fernen Gemahlin dachte und auch ganz traurig wurde.

Doch nun verstand er auch die Worte:

„Klingehold, ertöne du,
Bring’ dem armen Herzen Ruh’,
Daß sich Hoffnung zu mir neige
Und der herbe Schmerz dann schweige.
Durch die wüsten Kriegeshorden
Ach, bin kinderlos ich worden,
Denn mein Kind, so hold erblüht,
Nimmermehr mein Auge sieht!
Weilt vielleicht in fernen Landen,
Schmachtet dort in festen Banden. –
Oder muß in Kerkermauern,
Einsam und verlassen trauern;

Empfohlene Zitierweise:
Elsbeth Montzheimer: Märchen. Leipziger Graphische Werke AG, Leipzig 1927, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%A4rchen_(Montzheimer)_017.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)