Seite:Märchen (Montzheimer) 090.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Balduin antwortete, ungläubig lachend: „Was soll das Männlein, wenn es wirklich erscheint, wohl vom Falkenschloß wissen? Laß mich zuvor mein Sprüchlein sagen; will erst sehen, ob der Goldfasan seine Schuldigkeit zu tun vermag. – Wer weiß, ob ich nicht seine Gaben brauchen kann.“

Balduin zog den Goldvogel aus seinem Versteck hervor, setzte ihn, wie sein Vater es ihm eingeprägt hatte, in einen niedrigen Baumast und sprach, mit den Armen dreimal die Bewegung des Fliegens nachahmend:

„Lieber Vogel schüttle dich,
Sträube dein Gefieder;
Reichlich fallen laß auf mich
Goldne Federn nieder!“

Erwartungsvoll blickten beide auf den kleinen Vogel. Und siehe da: Plötzlich reckte und dehnte er sich, als ob er lebe; er wuchs zusehends, und sein Gefieder gleißte, daß die Brüder kaum hinzusehen vermochten. Jetzt war er so groß wie ein wirklicher Goldfasan. Da wiederholte Balduin nochmals das Zaubersprüchlein, und nun flogen die glänzenden Federn wie ein Goldregen hernieder.

Balduin konnte sie kaum so schnell zusammenraffen. Sein Erstaunen machte ihn ganz sprachlos. Es ward noch größer, als nun auch ein schweres, goldenes Ei hinab fiel. Dann schrumpfte der Vogel wieder zusammen, bis er war wie zuvor. Balduin sprach mit lauter Stimme das Danksprüchlein:

„Dank dir, Dank, mein Goldfasan –
Sollst nun wieder Ruhe ha’n;“

worauf er die kostbare Gabe seines Vaters verbarg, ebenso seine goldenen Schätze.

Nun zog auch Immo seine Zauberwurzel hervor, um ihre geheimen Kräfte kennen zu lernen. Da drang plötzlich ganz deutlich Gesang von Frauenstimmen zu ihnen herüber.

Empfohlene Zitierweise:
Elsbeth Montzheimer: Märchen. Leipziger Graphische Werke AG, Leipzig 1927, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%A4rchen_(Montzheimer)_090.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)