Seite:Märchen (Montzheimer) 130.jpg

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„Ich bitte dich, du allzeit Getreue, zeige mir den Weg zu jenem Nixenweiher und sage mir, was ich tun soll, daß die Nixe mir den Goldreif gibt,“ flehte Frau Irmela, und ihre Führerin nickte Gewährung, sie weiter und weiter in das Waldesdunkel hineinführend.

Aber auch ihre Gegnerin schlummerte nicht. Mit höhnischem Lächeln schlich sie in der Nacht an den Sumpf in ihrem Garten, wo zu dieser Zeit immer ihre Lieblinge, die Irrlichter, zu tanzen pflegten.

Die gelbe Gestalt winkte dem größten der Irrlichter, das gehorsam wie ein Hund sogleich herangehüpft kam. Mit beschwörender Gebärde raunte die Untreue:

„Wachse und glühe und bleib’ mit zur Seite,
Sei mir im Walde willkomm’nes Geleite.“

Hochauf reckte sich das Irrlicht, um dann in unruhigen Sprüngen bald sich duckend, bald hell aufleuchtend, seiner Herrin zu folgen, die sogleich im dichten Walde verschwand. Einmal glaubte sie, Frau Irmela in der Ferne zu erspähen, da zischte sie:

„Flimm’re, du Irrlicht, in flackerndem Tanze,
Hüpfend und gleißend in wechselndem Schein;
Führ’ in die Irre den nächtlichen Wand’rer,
Weitab vom Ziele noch tiefer waldein.“

Frau Irmela machte ihre Gefährtin auf den hüpfenden Lichtschein aufmerksam und bat, man möge doch zu jener Stelle eilen. Aber die Treue hob warnend die Hand, zog Stiefmütterchen nach der entgegengesetzten Richtung und mahnte:

„Untreu’ – Irrlicht – sind Gefährten,
Die wohl gerne sich gesellen!
Hüte dich vor ihnen beiden,
Wo sie deinen Weg verstellen.

Empfohlene Zitierweise:
Elsbeth Montzheimer: Märchen. Leipziger Graphische Werke AG, Leipzig 1927, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%A4rchen_(Montzheimer)_130.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)