Seite:Märchen (Montzheimer) 142.jpg

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Konrad ließ es an Sticheleien nicht fehlen, als Wendelin in das Wohngemach trat. „Hast wohl erst alle Fässer durchgekostet und sogar schon deinen Krug auf dem Wege leergetrunken? Scheinst ein Heimlicher zu sein,“ lachte er spöttisch; doch Meister Anselm fuhr dazwischen: „Laß deine spitzen Reden, Konrad; ich wollte, ich hätte mein Lebtag nur solche Gesellen gehabt, wie der Wendelin einer ist. Mir scheint, als wären seine Gedanken nicht bei der Sache.“

„Ihr könnt recht haben, Meister,“ nickte Wendelin zerstreut, „ich glaube, ich habe im Keller schon geträumt.“

„Dann geh’ und schlaf’ aus,“ lachte der Goldschmied, „hast heut zu eifrig geschafft.“

Der folgende Tag war ein Sonntag voll Sonnenschein. Da wanderte der aus der Kirche kommende Wendelin bis hinaus zu seinem Lieblingsplätzchen jenseits der Stadtmauer, wo das Zwitschern der Vögel und das Rauschen der Bäume ihn so traulich begrüßten. Zu seinen Füßen breitete sich der grüngoldige Rheinstrom majestätisch aus. Wendelin blickte, an Regina denkend, hinab, als wolle er bis auf den Grund des Wassers sehen; dann seufzte er: „Könntet ihr Rheinwellen mir doch sagen, wo ich die in eurer Tiefe ruhenden Schätze zu finden vermöchte, von denen alte Sagen künden!“

Da hörte er leise seinen Namen rufen und gewahrte freudig erstaunt das ihm schon so vertraute freundliche Gesicht unter der Zipfelmütze, welches aus einer Mauerspalte hervorlugte.

Wendelin begrüßte das Männchen herzlich, das mit warnend erhobenem Fingerlein mahnte:

„Laß des Rheines Schätze ruhn,
Frommt dir jetzo bess’res Tun.
Gold macht glücklich nicht allein,
Hat oft trügerischen Schein.
Arbeit, Fleiß, Geschicklichkeit
Sind ein Gut, das mehr erfreut,

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Elsbeth Montzheimer: Märchen. Leipzig: Leipziger Graphische Werke AG, 1927, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%A4rchen_(Montzheimer)_142.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)