Seite:Märchen (Montzheimer) 151.jpg

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Meister Anselm wiederum den Wunsch, mit seinen Gesellen einen guten Trunk zu tun. Wendelin erklärte sich sogleich bereit, den Wein zu holen, doch Konrad, der guten Wein gern trank und einen heimlichen Extraschluck für sich erhoffte, sprach eifrig: „Laßt heute einmal mir das Vertrauen zuteil werden, Meister, daß ich Euch Wein holen darf.“

„Meinetwegen,“ brummte Meister Anselm, „füll’ uns auch drei Krüge, doch diesmal nur vom vorigen Jahrgang Geisenheimer, gleich das erste Faß vornan; du kannst nicht fehlen.“

Unten angelangt trank Konrad tüchtig aus der ersten Kanne, ehe er sie ganz füllte; ebenso ging’s mit der zweiten.

Als er aber die dritte, für ihn selbst bestimmte füllen wollte, murmelte er: „Der alte Aßmannshäuser mundete mir fürwahr kürzlich besser.“

Ohne Besinnen schlich er dorthin, wo das Faß mit dem begehrten Weine stand. Und kluck-kluck – klang es in der Kanne und floß gleich darauf in Konrads gierige Kehle.

Aber da hörte er ein Geräusch hinter sich, daß er sich scheu umblickte; zugleich ließ sich ein Wispern vernehmen:

„Guck, guck, – schlürfst Wein, –
Schluck, schluck, – so fein?
Gripp, grapp, – hipp, happ, –
Gib mir was ab.“

Dabei stand ein winziges Männlein hinter ihm, das mit beinahe naseweiser Selbstverständlichkeit ein leeres Krüglein emporhielt.

Konrad fühlte an seine Stirn: gaukelte der schnell getrunkene Feuerwein ihm schon seltsame Bilder vor, oder war dies rätselhafte Geschöpf wirklich aus Fleisch und Bein? Da hörte er’s wieder, und noch deutlicher und dringlicher:

„Gripp, grapp, – hipp, happ, –
Gib mir was ab!“

Empfohlene Zitierweise:
Elsbeth Montzheimer: Märchen. Leipzig: Leipziger Graphische Werke AG, 1927, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%A4rchen_(Montzheimer)_151.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)