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beseelt, jeder Mann suche sein Bestes zu leisten und erfülle seine Pflicht. Der Oberst erzählt mir auch, daß der französische Ortspfarrer, der im übrigen eine kühle Zurückhaltung beobachtet, ihm seine Bewunderung über die Frömmigkeit der deutschen Truppe, über ihren Anstand und ihre gute Sitte ausgesprochen habe.

Bis nach Mitternacht saßen wir wie alte gute Kameraden fröhlich beisammen. Der Christabend 1914 an der deutschen Front wird mir unvergeßlich bleiben.


Hinter dem Pfarrhause von ..., wo ich die Weihnacht verbracht habe, plätschert ein Brunnen. Bei meinem Erwachen in der Morgenfrühe des Weihnachtstages tummeln sich halbnackte Gestalten vor dem Fenster meines Zimmers herum, bayrische Artilleristen, die trotz der Kälte von zwei Grad unter dem Gefrierpunkt mit dem entblößten Oberkörper zum morgendlichen Waschen gehen. Nach dem Frühstück ist protestantischer Gottesdienst in der Kirche. An die zweihundert deutsche Soldaten hatten sich dazu eingefunden. Der Feldgeistliche hielt eine kurze und gute, einfache Predigt, ohne Phrasenschwall und ohne Überschwang. Den tiefsten Eindruck hinterließ mir der einstimmige Gesang dieses zweihundert Mann starken deutschen Kirchenchors. Sie sangen zwei Chorlieder, ohne Vorbereitung, aber der letzte Mann stimmte kräftig ein, ohne Noten und ohne Textbuch.

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Karl Müller: Kriegsbriefe eines neutralen Offiziers. Velhagen & Klasing, Bielefeld ; Leipzig 1915, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%BCllerKriegsbriefe.pdf/159&oldid=- (Version vom 1.8.2018)