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Gottfried Keller das ihm wohlvertraute und ans Herz gewachsene Nachbarland nannte, und der Zug hält in Heidelberg, wo ich mein erstes Nachtquartier aufschlage. In der Morgenfrühe des folgenden Tages rasch ein Gang aufs Schloß. Im Schloßgarten, der sonst im Glanze der bunten Mützen der Jünger der Ruperto-Carola strahlt, fallen die Blätter, und die, die vor wenigen Wochen hier beim Becherklang und frohem Sange in schwellender Jugendlust kommersierten, sie stehen zum großen Teile draußen auf Frankreichs Boden oder in Polen, und manch einer ist schon, wie die Blätter des Schloßhofes, zur Erde gefallen als Blutzeuge des alten, ewig jungen Soldatenliedes: Ach wie bald, ach wie bald, schwindet Schönheit und Gestalt. Prahlst du gleich mit deinen Wangen, die wie Milch und Purpur prangen, ach die Rosen welken all!

Auf dem Wege zum Bahnhof begegne ich einer zur Übung ausrückenden Landsturmkompanie, die Leute meistens in der blauen Garnisonuniform, einige im Bürgerrock, als militärisches Abzeichen bloß die Feldmütze tragend. Es sind in der Kompanie junge, unausgebildete Landstürmer mit alten, ausgedienten bärtigen Mannschaften gemischt. Aber wie der Kompanieführer zum Weitermarsch kommandiert: „Stillgestanden, das Gewehr über“ — da fliegen die Büchsen der Alten und der Jungen, der Uniformierten wie der Leute im Bürgerrock mit gleicher Genauigkeit auf die Schulter.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Müller: Kriegsbriefe eines neutralen Offiziers. Velhagen & Klasing, Bielefeld ; Leipzig 1915, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%BCllerKriegsbriefe.pdf/40&oldid=- (Version vom 1.8.2018)