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deren Bewohner übrigens vor Beginn der Beschießung, ausgenommen eine Anzahl Wirte und Epiciers, ausgezogen waren — in einen Schutthaufen verwandelt; die Festungsartillerie großenteils zum Schweigen gebracht, die in den Kasematten untergebrachte Infanterie moralisch erschüttert — schon waren mehrere Gewölbe der Hohlräume von den Granaten der schweren Geschütze durchgeschlagen, ihre Insassen lagen von Granatsplittern erschlagen oder lebendig begraben unter zersprengtem Gemäuer und dem nachstürzenden Erdreich, das die Gewölbe bedeckt hatte. Der übrigen Besatzung drohte das gleiche Schicksal. Die militärische Ehre der Besatzung war durch den zweieinhalbtägigen, unter dem Grauen des Todes geleisteten tapferen Widerstand gerettet, ein Ausfall oder weitere Gegenwehr mußte zu einem zweck- und nutzlosen Blutbad führen, denn die Festung war sturmreif, ihre Sturmfreiheit gebrochen. Als daher die deutsche Infanterie zum Sturme antrat, hißte der Festungskommandant die weiße Flagge und übergab sich mit Festung und Besatzung. In ritterlicher Anerkennung seiner Haltung wurde er von dem deutschen Sieger mit der größten Hochachtung behandelt und durfte seinen Degen behalten. Von der Besatzung waren dreihundert Mann tot oder verwundet, dreitausend fielen unverwundet in deutsche Gefangenschaft.

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Karl Müller: Kriegsbriefe eines neutralen Offiziers. Velhagen & Klasing, Bielefeld ; Leipzig 1915, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%BCllerKriegsbriefe.pdf/91&oldid=- (Version vom 1.8.2018)